„Deutschland im Visier“ titelte vor einigen Wochen der Sender ntv in einer Geschichte über Peter Navarro, den man „Trumps Handelskrieger“ nennt. Navarro sitzt derzeit zwar für vier Monate im Gefängnis, wird von Trump im Falle eines Sieges vermutlich aber rasch wieder in die Administration mit Zuständigkeit für den internationalen Handel zurückgeholt. Navarros Beschreibung durch den Sender erzeugt in Deutschland Nervenflattern:
„Der Ökonom vertritt eine radikal merkantilistische Position. Handel ist für ihn Wettstreit, Außenhandelsüberschüsse sind gleichbedeutend mit nationalem Wohlstand. Das Handelsdefizit der USA ist für ihn Ausdruck von Schwäche. Das entspricht Trumps Weltsicht.“
Das ist wirklich schockierend. Außenhandelsüberschüsse mit Wohlstand gleichzusetzen, ist an Perfidität gar nicht mehr zu überbieten. Wo alle guten deutschen Ökonomen doch genau wissen, dass nur eine ausgeglichene Handels- und Leistungsbilanz einem Land erlaubt, die Wohlstandsgewinne zu realisieren, die von der Theorie des internationalen Handels versprochen werden. Und Wettstreit kann der internationale Handel doch niemals sein, weil wir genau wissen, dass es ein Internationales Währungssystem gibt, das systematisch verhindert, dass sich einzelne Länder absolute Vorteile verschaffen, indem sie versuchen, ihre nationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Würde Deutschland – gegen jede Vernunft – versuchen, seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, würde der Euro sofort aufwerten und den Vorteil wieder zunichte machen. Innerhalb einer Währungsunion, das wissen wir alle ganz genau, ist jeder Versuch, die nationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, von vorneherein sinnlos, weil wir ja nur unsere Partner schädigten, deren Schwäche aber wieder sofort auf Deutschland zurückfiele.
Auch China ist ein Merkantilist
Auch die Chinesen haben zunehmend komische Ideen. Glaubt man dem Deutschlandfunk (im Börsengespräch vom 12. Juli 2024 und dem dort befragten Experten (dem Bankvolkswirt Ulrich Kater), so entwickelt sich die chinesische Volkswirtschaft mehr und mehr ungleichgewichtig, weil man voll auf Export setzt und die Binnennachfrage stagniert. Die chinesischen Löhne, so Kater empört, stagnieren und verhindern so, dass genügend importiert wird. China, so hört man allenthalben, produziert mehr als das Land selbst verbrauchen kann und wirft seine überschüssigen Waren mit Gewalt auf den Weltmarkt. Die europäische Kommission hat auf diese unerhörte Missachtung der Prinzipien des freien Warenaustausches schon reagiert und „Strafzölle“ für chinesische E-Autos eingeführt.
Das Handelsblatt hat auch eine Graphik produziert (Abbildung 1), die anschaulich zeigt, wie sehr die Chinesen die Freiheit des internationalen Handels missbrauchen. Rechnet man ganz platt in Milliarden Euro, lag der Warenhandelsüberschuss Chinas im Jahr 2023 bei über 750 Milliarden Euro und der deutsche Überschuss nur bei schlappen 224 Milliarden Euro. Wie das zu bewerten ist angesichts der Tatsache, dass das BIP Chinas mindestens viermal so groß wie das der Bundesrepublik Deutschland, will ich zunächst einmal dahingestellt sein lassen.
Abbildung 1
Immerhin hat das Handelsblatt gemerkt, dass man in Deutschland ganz schön im Glashaus sitzt, wenn man mit Steinen auf die Chinesen wirft. Peking verteidige sich mit deutscher Strategie, heißt es da. Peking kontere die Kritik an seiner Exportpolitik mit einem Hinweis, der in Deutschland nicht unbekannt ist: „Firmen aus der Volksrepublik seien eben besser.“
In der Tat, westliche Unternehmen haben jahrzehntelang mit hochmoderner westlicher Technologie kombiniert mit den niedrigen chinesischen Löhnen gewaltige Gewinne mit der Produktion in China gemacht und haben die Weltmärkte von dort erobert. Nun, wo die Chinesen dieses Modell selbst umsetzen, fallen bei uns die Wirtschaftspolitiker reihenweise in Ohnmacht: So war das nicht gemeint mit dem Freihandel! Wenn unsere Unternehmen gewinnen, dann ist das in Ordnung, aber dass fremde Unternehmen auch gewinnen wollen, das geht ja gar nicht.
Wer subventioniert?
Das Handelsblatt, klug wie es ist, hat allerdings sofort den Pferdefuß an der chinesischen Argumentation entdeckt. China subventioniere seine Exporte und das mache sie so erfolgreich. Chinesische Industriepolitik basiere gar auf einem durchdachten Plan und so etwas wie einen Plan oder eine Strategie könne man Deutschland wirklich nicht unterstellen. Wiederum richtig! Auf die Fähigkeit, strategisch zu denken, kommt es allerdings beim Merkantilismus nicht an.
Deutschlands politischer Druck auf die Löhne zu Beginn der Europäischer Währungsunion war sicher nicht das Ergebnis eines Planes, so viel Verständnis von Wirtschaft sollte man Schröder und Konsorten nicht unterstellen, aber es funktionierte, weil die anderen Mitglieder der EWU sich überrumpeln ließen. Das Ergebnis ist ein vollkommen ungerechtfertigter absoluter Vorteil seit mehr als zwei Jahrzehnten, dessen vehemente mediale und politische Verteidigung glasklar deutschen Merkantilismus beweist. Deutschland produziert auch heute noch absolut billiger als die meisten anderen Mitglieder der Europäischen Währungsunion (Abbildung 2).
Abbildung 2
Navarro ante portas
Kommt Trump wieder an die Macht, und wer wollte heute daran irgendeinen Zweifel haben, wird er Peter Navarro zurückholen und der wird Deutschland, wie schon vor vier Jahren, völlig zu Recht blanken Merkantilismus vorwerfen. Man sollte schon heute gut überlegen, ob man es wieder mit den Schwachsinnsargumenten vom letzten Mal dagegenhält nach dem Motto „wir können unseren Unternehmen das Exportieren nicht verbieten“ (wie im Handelsblatt gut dargestellt), oder ob man Einsicht zeigt und damit gerechtfertigten Protektionismus von amerikanischer Seite verhindert.
Die einzige deutsche Chance ist, dass die Amerikaner auch unter Trump den wirtschaftlichen Angriff auf die Chinesen so wichtig finden, dass sie die westlichen Handelspartner bewusst schonen. Macht Europa dabei mit, gibt es sich allerdings vollständig in die Abhängigkeit von den USA und hat beim Rest der Welt ausgespielt. Wenn China klug ist, wird es den übrigen Ländern der Welt die untenstehende Graphik der IWF zeigen (Abbildung 3), die besser als alle Argumente belegt, wie verlogen eine große westliche Macht agieren kann, wenn sie sich einmal der Logik entledigt und vollends einer „kolonialistischen Ideologie“ unterworfen hat.
Abbildung 3
Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss von vermutlich 7 Prozent des BIP im laufenden Jahr (so die Schätzung des IWF) ist ein Skandal ohnegleichen. Eine wirkliche politische Katastrophe wird daraus allerdings dadurch, dass Deutschland Ländern, die ziemlich ausgeglichene Bilanzen wie China (1,3 % des BIP laut IWF) oder gar hohe Leistungsdefizite wie die USA aufweisen, Merkantilismus vorgewirft, wenn sie sich gegen die eigentlichen Merkantilisten wehren.